Murmel

 

Mein geliebter Murmel,
 
als ich Dich zum ersten Mal sah, mußte ich weinen, es waren Freudentränen. Bei mir war es Liebe auf den ersten Blick. Für Dich eher nicht, denn Du hast mich angebellt und Dich in den hinteren Teil des Geheges verzogen, als ich Dich auch noch fotografieren wollte. Jetzt weine ich wieder, weil Du nicht mehr bei mir bist. Was soll ich nur ohne Dich machen?
 
Du warst ein Traumhund mit einer so sanften zarten Seele. Daß Du der allerschönste Hund der ganzen Welt warst, versteht sich wohl von selbst. Als ich Deine wunderschönen großen Augen sah, wußte ich, daß Du Murmel heißt (außerdem warst Du da noch so rund wie eine Murmel). Als Du bei mir einzogst, dachte ich erst, mit diesem Hund werde ich nie spazieren gehen, weil Du zwei Tage lang die Gästetoilette nur blitzartig und möglichst unbemerkt verlassen hast, um im Garten Deine Geschäfte zu erledigen (Danke, Frau Bormann-Rolfs, für Ihre beruhigenden Worte). Du warst von Anfang an absolut stubenrein! Ich bin daher nur mit Penni spazieren gegangen, bis nach ca. einer Woche wildes Kratzen innen an der Haustür deutlich machte, daß da noch einer mit wollte. Bald wurden Spaziergänge eine Deiner Leidenschaften. Wie auch die Jagd. Zum Glück hast Du nur zwei Igel erbeutet, die Du tief im Gebüsch entdeckt und mir so behutsam vor die Füße gelegt hast, daß die beiden Stacheltiere und Du das Ganze unversehrt überstanden habt.
 
Du hattest vor nichts Angst, nicht vor Silvesterknallern, nicht vor Gewitter, nicht  vor riesigen Rüden, nicht vor dem Tierarzt oder anderen furchterregenden Wesen. Nur anderen Menschen gegenüber warst Du immer vorsichtig. Du hast Dich nach einiger Zeit von ihnen streicheln lassen, ohne daß Du danach gedrängt hättest. Mir hast Du Dein Herz geschenkt. Daß Du mir unbedingt vertraut hast, empfinde ich als Ehre, denn Dein fast 14-jähriges Vorleben hat Dir nicht vermittelt, daß Menschen grundsätzlich gut seien. Du hast mich unterwegs fast nie aus den Augen gelassen und im Haus fast wie ein Schatten begleitet, ohne jemals aufdringlich oder gar störend zu sein. Überhaupt war Dein Sozialverhalten beeindruckend. Du hast nicht ein einziges Mal mit anderen Hunden eine Auseinandersetzung gehabt, nicht einmal ansatzweise. Das war für mich wahrer Luxus, denn mein Pushel war (mit 65 kg) anderen Rüden gegenüber ein rechter Rüpel gewesen. Zweimal wurdest Du von halbstarken großen Rüden bedrängt, die Dir den Kopf auf die Schultern legten. Beide Male hast Du Deinen Kopf eine Winzigkeit in ihre Richtung gedreht und kaum hörbar gebrummt, und beide haben verstanden und sich verzogen. Ich war platt! Auch wir beide hatten nie Streit. Du hast nie einen Klaps bekommen, nie gab es auch nur ein böses Wort. Wenn Du - und das war das einzige, wo wir nicht einer Meinung waren - ab und zu unterwegs etwas Unbekanntes gefressen und blitzschnell runtergeschluckt hast, habe ich dezent geschimpft, woraufhin Du mich verwundert bis ratlos angeschaut hast. Du hattest Augen und Ohren wie ein Luchs. Das Öffnen der Kühlschranktür und jedes Rascheln hast Du noch aus dem hintersten Winkel des Hauses mitbekommen, und Katzen hast Du auf jeder noch so weit entfernten Fensterbank entdeckt. Im Hundekurs warst Du ein Musterknabe. Der Trainer war mit uns der Meinung, daß auch ein Herr in Deinem Alter etwas für den Kopf brauchen kann, aber nicht mehr Sitz und Platz lernen muß. Wichtig ist in allererster Linie, daß ein Hund auf Zuruf kommt, und da warst Du absolut zuverlässig. Und im Longieren warst Du ein Naturtalent!
 
Mit Penni warst Du von Anfang an ein Herz und eine Seele. Ihr habt gemeinsam Joghurtbecher ausgeschleckt, obwohl ich Penni bekommen hatte mit dem Hinweis, sie sei futterneidisch. Auch sie vermißt Dich so. Du warst so unglaublich verschmust. Du wußtest genau, wo Du gekrault werden wolltest, und hast jedes Nachlassen energisch und umgehend mit der Pfote gerügt.
 
Wer wird jetzt jeden Morgen vor dem Badezimmer liegen und ab und zu seine Nase (nur die!) durch die Tür strecken, bis ich wieder rauskomme? Wer wird, wenn ich zur Arbeit gehe, so auf dem Treppenabsatz liegen, daß nur eine Pfote zu sehen ist, und zu wem werde ich dann sagen "Tschüss, kleiner Fuß"? Wer begleitet mich in den Keller, wartet dort geduldig, bis ich fertig bin, und läßt sich nur mit einem Leckerchen und dem Wort "such" wieder rauf locken? Wer balanciert wie ein Artist auf den Lehnen von Sofa und Sessel, bis ich sage "na, Du Klettermaxe", um dann mit einem Satz in Richtung Küche zu stürmen (warum wohl?)?
 
Der Doktor hatte gleich bei der ersten Untersuchung wörtlich gesagt, Dein Herz sei eine Katastrophe, Du könntest jeden Moment tot umfallen. Mir war klar, daß unsere gemeinsame Zeit begrenzt sein würde. Trotzdem tut es so unendlich weh. Als mein Pushel mir nach 12 gemeinsamen Jahren auf dramatische Weise genommen wurde, hatte ich gedacht, jetzt kannst Du auch einen alten Hund nehmen, so schlimm kann es nie wieder werden. Alles Käse. Es ist wieder genau so schlimm. Und trotzdem würde ich wieder alles genau so machen. Und ich werde auch wieder eine weise alte Fellnase haben. Ich liebe alte Hunde. Sie sind so würdevoll und eigene Persönlichkeiten. Als vor wenigen Monaten unsere Freundin Gabi mit Dir spazieren gehen wollte, hat sie zweieinhalb Stunden gebraucht, bis sie Dir das Geschirr angelegt hatte (zwischendurch war sie mit Penni draussen). Und das, obwohl wir sogar zusammen in Urlaub gewesen waren. Du hast wohl gedacht, ohne Tanti spazieren gehen, nicht mit mir, da kann ja jeder kommen. Beim zweiten Mal hat Gabi nur noch eine halbe Stunde gebraucht, und beim dritten Mal fluppte es gleich. Das Glück, einen alten Hund, der es vorher nicht nur gut hatte, durchs Unterholz schnüffeln, über die Wiesen laufen und sich wohlig auf dem Sofa räkeln zu sehen, ist unvergleichlich. Mein kleiner alter Mann, Du hast mir immer das Gefühl vermittelt, daß Du weißt, wie gut es Dir geht, und daß Du Dein Leben genießt. So wie Penni, die jahrelang an der Kette lebte, weißt Du, daß das Leben nicht nur gutes Essen, Spaziergänge, Urlaube und ganz viel Streicheleinheiten bereithält. Mich tröstet, daß ich versucht habe, Dir das Leben so schön wie möglich zu machen. Und Du hast es mir tausendfach vergolten. Wie bist Du mit wehenden Ohren hinter Penni hergerannt, mit hohen weiten Sprüngen, hast nie wieder die Stellen vergessen, wo Du mal eine Katze aufgespürt hattest, und dabei sahst Du nie aus wie ein alter Hund.
 
Du warst eindreiviertel Jahre bei mir und bist genau zwei Jahre und zehn Tage nach Pushel über die Regenbogenbrücke gegangen. Ganz plötzlich und irgendwie friedlich. Auch wenn es mir noch nicht gelingt, muß ich für die Umstände Deines Abschieds wohl objektiv dankbar sein. Du warst - bis auf Deine Herzgeschichte - nie krank, bist immer vorweg gelaufen und warst noch am letzten Tag putzmunter. Du bist nur fünf Minuten vorher allein ins Auto gesprungen.  Penni und ich waren dabei, als es passierte, ich habe Dich nicht zu Hause aufgefunden und muß daher nicht fürchten, daß Du Dich gequält hast. Ich mußte gottlob auch nicht die Entscheidung treffen, wann es besser für Dich sei, Dich gehen zu lassen. Davor hatte ich mich immer gefürchtet. Dein Herz, das immerhin fast 16 Jahre tapfer seine Arbeit gemacht hat, hat einfach aufgehört zu schlagen.
 
Mein Murmel, mein Bubele, wir werden uns wiedersehen! Solange niemand das Gegenteil bewiesen hat, glaube ich fest daran. Warte mit Pushel, Solo und Jakob auf Penni und mich. Und auf die Fellnasen, die unser Leben noch teilen werden, Dich aber niemals ersetzen können.
 
Du bist und bleibst mein über alles geliebter Murmel und ich Deine (Adoptiv-)Mama. Auf Wiedersehen, mein Schatz