Jeder ein Unikat

Sie möchten sich eine Welt ohne Individualisten, Originale und Einzelstücke nicht vorstellen? Dann könnte ein Herdenschutzhund vielleicht ihr Seelenhund werden! Manchen gelten sie ja als schwierig und dickköpfig. Manche fürchten ihren Beschützerinstinkt. Wenn man mit einem oder mehreren Herdenschutzhunden lebt, und das gerne tut, ist es oft schwer in Worte zu fassen, was sie zu so tollen Begleitern macht.

Vielleicht ist es die einzigartige Persönlichkeit, für die man keine verallgemeinernden Worte finden kann. Heute möchten wir wieder eine begeisterte Wegbegleiterin solcher Originale zu Wort kommen lassen. Lesen Sie hier die persönliche Liebeserklärung an ihre Maraemmanos und Maremmano Mischlinge:

"Faszination Maremmano

Mittlerweile haben vier Maremmani bzw. Maremmanomixe, teils gleichzeitig, mein Leben bereichert.

Es gibt Unmengen von Literatur, die sich mit diesen wunderbaren Hunden beschäftigt, ich habe viele Bücher regelrecht verschlungen und festgestellt, dass vieles in den Beschreibungen passt und doch ganz anders sein kann. Vorab: Ich habe viel von meinen Hunden gelernt. Grundsätzlich beschreiben die Bücher diese Rasse perfekt, oft aber auch Extreme, welche nicht eintreten müssen, aber können. Man sollte also für alles gewappnet und offen sein, wenn man sich für einen Maremmano entscheidet.

Ich lebe in einer kleinen Hofreite mitten in einem ländlichen Vorort des Rhein-Main-Gebietes, Hof, Scheune, Garten, Haus, alles nicht sehr groß, rundum Nachbarn. In der Nachbarschaft leben viele Hunde, zum Glück ist niemand vom Gebelle genervt, denn das macht das Rudel gerne: Aufpassen. Einer liegt meist hinter dem Tor und schlägt Alarm, wenn er etwas bemerkenswert findet, dann kommt der Rest angeschossen und macht mit. Sie beruhigen sich aber schnell und ich (und auch die Nachbarn) finde es okay, dass sie aufpassen.

Jeder der Hunde hat eine besondere Leidenschaft. Alle eint die Freude an Spielereien, etwa Intelligenz- und Suchspiele drinnen, wo jeder einen anderen Lösungsansatz hat, sowie Suchspiele und die Bewältigung kleiner Parcours draußen. Quatsch machen auch, etwa „High five“ und „Rolle“ sind toll. Alle sind Schmusebacken und lassen sich gerne ausgiebig streicheln. Sie spielen ganz selten miteinander, begrüßen sich aber dem Rang entsprechend.

Was macht sie aber als Rasse so besonders für mich? Wahrscheinlich bewundere ich verschiedene Eigenschaften und liebe es, diese zu beobachten. Die Ruhe und Gelassenheit, die sie ausstrahlen, ohne langweilig oder träge zu wirken, einfach majestätisch und sich ihrer selbst sicher. Die Ausdauer, mit der sie das machen, was für sie gerade wichtig ist, etwa die Gegend scannen oder Gerüche identifizieren, ohne sich durch meine Aufforderung zum Weitergehen ablenken zu lassen.

Die Ignoranz gegenüber unwichtigen Hunden oder Menschen. Die Neugier. Das Sich-groß-machen, wenn Gefahr zu drohen scheint oder Imponieren erforderlich ist. Das schnelle und gezielte Handeln, ohne zu übertreiben, um dann wieder die Ruhe selbst zu sein. Eigene Entscheidungen treffen. Sich nicht unter Druck setzen lassen. Loyalität und Zuneigung mir gegenüber. Der rücksichtsvolle Umgang miteinander. Im Haus gar nicht aufzufallen. Das ruhige Wesen. Ich gebe zu, ich musste mich erst an einiges gewöhnen, um nicht kontraproduktiv im Umgang miteinander zu sein. Ruhe und Geduld zu bewahren, wenn man es eilig hat oder hinnehmen, dass der Hund es nicht für erforderlich findet, einer Aufforderung zeitnah zu folgen, musste ich mir hart erarbeiten. Es ist ja nicht so, dass sie die Grundkommandos nicht gelernt hätten. Wenn man ein Spiel aus der Umsetzung macht, möglichst in einer größeren Gruppe, klappt es doch super. Aber eben nur mit Geduld und Freundlichkeit, mit Druck und Hektik erreicht man das Gegenteil und noch dazu scheinen die Hunde mich dafür in ihrer Achtung sinken zu lassen, um bei der nächsten ähnlichen Situation mich auf die Probe zu stellen. Als Gegenpol zu den ganzen Herdenschutzhunden ist ein Englisch-Setter-Mix im Rudel, der mich daran erinnert, dass es auch anderes Hundeverhalten gibt.

Ja, ein Rudel ist besonders toll, die ganze Interaktion ist zu spannend.

Rudolph war der erste, der kam. Der souveränste Hund, den ich je erlebt habe, in sich ruhend, freundlich, gerecht, offen und aufgeschlossen, der unbestrittene Anführer und es war auch nicht unbedingt nötig für ihn, beim Alarm herauszukommen. Gut erzogen, auch wenn er die Umsetzung nach seinem Ermessen auslegte: Ich bin hier, du bist da, warum sollte ich kommen? Oder für eine gute Leistung die Belohnung vor meine Füße spuckte, da die Ausführung für ihn selbstverständlich ist. Seine größte Leidenschaft, die mich oft zur Verzweiflung brachte, war das Streunen. Blitzschnell abhauen und dann lange weg sein, allerdings so, dass er mich immer im Fokus hatte, ich ihn aber nicht. Anfangs mit dem Auto im Wald auf Suche gefahren und ihn irgendwann im Rückspiegel entdeckt. Später gewusst, dass er immer zum Auto zurückkehrt.

Voller Vertrauen, dass er wieder eingesammelt wird, hat er am Parkplatz gewartet, wenn das Auto zwecks Suche unterwegs war. Auch den Weg zum jeweiligen Ferienhaus im Urlaub hat er immer gefunden. Rudolph war ein toller Babysitter für Welpen und hat sie spielerisch erzogen.

Soweit zum Thema Geduld, Vertrauen und Gelassenheit lernen für mich.

Auch Rosa hat mich in dieser Hinsicht weitergebracht, denn auch sie war gerne mal weg. Beim Spaziergang ins Raps- oder Maisfeld geschlendert und weg war sie, wenn auch nicht so sehr lange. Sie wirkte immer so ruhig, fast träge, konnte aber auch von jetzt auf gleich blitzschnell sein. Meist kam sie aus einer ganz anderen Richtung, aber immer ziemlich flott, denn den Anschluss verpassen wollte sie nicht. Während der Spaziergänge im Wald musste sie auf jeden Stamm und Holzstapel klettern, auch Kinderspielplätze mit Klettergeräten waren ihr Ding, Netze und luftige Holzbrücken überwinden waren eine Leichtigkeit. Daher haben Rosa und ich an einigen Kursen Agility teilgenommen, wo sie jedes Mal einen einzigen perfekten Durchgang zeigte und dann für die Stunde fertig war. Typisch Herdenschutzhund: Wenn ich es kann, langweilt es mich. Zuhause übernahm meist sie den Tordienst und war sonst sehr darauf bedacht, dass sich niemand ungeziemlich schnell ihrem Körbchen nähert. Fremden gegenüber ausgesprochen misstrauisch zog sie sich ihnen gegenüber eher zurück, nachdem sie ausgiebig beäugt wurden. Ein Blick, der nahezu das Vorzeigen des Ausweises forderte.

Lola ist eine Zicke und ausgesprochen futterneidisch, aus reiner Prophylaxe vertreibt sie alle Hunde aus ihrer Nähe, die sich das gefallen lassen. Eigentlich ähnelt sie im Verhalten einer Katze, wenn ihr irgendetwas nicht passt, zuckt die Nase und es ist höchste Zeit, die Hände weg zu nehmen. Beim Spaziergang ist sie immer darauf bedacht, in der Nähe zu sein und das Rudel zusammenzuhalten, fehlt einer, kann sie nicht weitergehen. Sie hält viel Kontakt zu mir und stupst mich immer wieder ganz leicht an, um die Zusammengehörigkeit zu zeigen. Lola apportiert gerne einen Dummy und legt ihn mir brav in die Hand, natürlich gibt es eine Belohnung. Ihre eigene Art zu apportieren zeigt sich in Tauschgeschäften, wenn sie etwas von meinen Mahlzeiten haben möchte. Dann schleppt sie alles an, was ihr vor die Schnauze kommt, das können leere Futternäpfe sein (die sie scheppernd vor meine Füße knallt), oder etwa Socken, Spielzeug oder Feuerholz, welches auf meinem Schoß landet. Gehe ich nicht darauf ein, nimmt sie es weg und dreht eine Runde damit, bis sie einen zweiten Versuch startet oder etwas anderes bringt. Wer kann da widerstehen? Lola fährt ausgesprochen gerne Auto und setzt sich stundenlang auf den Beifahrersitz. Seit sie älter ist, bellt sie gerne um Hilfe, wenn sie zum Beispiel einen Raum betreten möchte und ein anderer Hund im Weg liegt, soll ich ihr an diesem vorbei helfen, denn sie möchte keinen Ärger, wenn es eng ist. Höflicher Hund! Sie ist Fremden gegenüber skeptisch und lässt sich nicht anfassen, hat sie jemanden ins Herz geschlossen, wird er stürmisch begrüßt.

Ettore ist unser Mantrailer. Wir haben das Training in einer reinen Freizeitgruppe begonnen, weil er ein so unsicherer Hund ist. Die Bestätigung durch Erfolge beim Training haben ihm viel Selbstvertrauen gegeben. Er arbeitet herdenschutzhundtypisch, indem er immer wieder die Lage checkt, ehe er weiterarbeitet, aber da ist völlig okay. Ettore benötigt anderen Hunden gegenüber sehr viel Individualdistanz, sonst fühlt er sich bedrängt. Generell mag er fremde Hunde nicht und es benötigt viele gemeinsame Spaziergänge, bis er sich an einen anderen Hund gewöhnt hat. Dann sind es aber Freunde. Er hat Angst vor Schussgeräuschen, an der Leine zieht er dann bis zum geht-nicht-mehr, ohne Leine bleibt er brav in der Nähe. Auch er ist immer darauf bedacht das Rudel zusammenzuhalten und läuft hin und her. Zuhause sucht er häufig meine Nähe, aber bei Besuch zieht er sich zurück. Ettore kann prima Kopfsprünge ins Körbchen oder auf die Couch machen, wenn er aufgedreht ist, oder bellend Bocksprünge vollführen, wenn er der Meinung ist, es solle Futter oder einen Spaziergang oder einfach eine Streicheleinheit geben. In jungen Jahren hat er gerne gejagt, jetzt setzt er sich hin und schaut den Rehen zu, das haben wir lange geübt. Rennen kann er aber schon noch, nur die Zeiten des Wettrennens mit Lola sind vorbei.

So viel zu meinen Hunden. Alle haben typische Herdenschutzhundeigenschaften und trotzdem machen alle Dinge, die Herdenschutzhunde nicht unbedingt machen. Wir waren bzw. sind ein gutes Team, ich lasse den Hunden viel Freiraum, sie begleiten mich häufig zur Arbeit (Garten- und Landschaftsbau) und wir zeigen gegenseitig Respekt, Geduld und Zuneigung – auch wenn die Begrüßung manchmal nur ein leichtes Rutenzucken ist.

Rosa und Rudolph und Hüppi haben inzwischen die Regenbogenbrücke überschritten."

Wir danken unserer ehemaligen Pflegestelle Bettina von ganzem Herzen für Ihren ausführlichen Erfahrungsbericht. Hier finden Sie weitere Informationen über Herdenschutzhunde und über unsere vielen Welpen, die zurzeit auf ein schönes Zuhause warten:

Wir würden uns sehr freuen, wenn das ein oder andere „Unikat“ ein Zuhause oder eine Pflegestelle in Deutschland finden würde.

Bitte helfen Sie uns und den Hunden dabei, insbesondere unseren vielen, vielen Welpen, die dringend ein Zuhause benötigen!

Vielen herzlichen Dank! Grazie mille!